Kodak Retina IIIc / IIIC – die schwäbische Leica?

Süddeutschland im Jahr 1908. August Nagel, geboren nahe Tübingen als eines von neun Kindern, gründet mit 26 Jahren zusammen mit seinem Schulfreund Carl Drexler die Firma „Nagel und Drexler“ bei Stuttgart. Heute wohl ein erfolgreiches „Startup“, entwickelt sich die junge Firma vor allem Dank der Plattenkamera „Contessa“, der „Gräfin“, rasch zum Erfolg. So erfolgreich, dass man schnell entscheidet die Firma fortan „Contessa“ zu nennen. Wenig später fusioniert Contessa mit dem Kamerawerk Nettel. Dabei handelt es sich ebenfalls um eine Firma eines schwäbischen Tüfftlers – Robert Mayer. Zusammen mit Max Körner gründete dieser ebenfalls 1908 in Heilbronn-Sontheim das „Süddeutsche Camerawerk Körner Et Mayer GmbH“, welches später ebenfalls nach einem Kameramodell benannt wird – der Nettel. 1919 sieht sich Robert Mayer, mehr Tüfftler als Geschäftsmann, aufgrund der wirtschaftlichen Lage zur Fusion mit Nagel zur „Contessa-Nettel AG“ gezwungen.

1926 beschäftigt Nagel bereits 1500 Mitarbeiter. Angeschlagen und durch die negativen Folgen vom Weltkrieg und Wirtschaftskrise wird allerdings auch „Contessa-Nettel“ mit anderen Firmen, der Ernemann, ICA und Goerz, Teil der neuen Zeiss Ikon AG mit Sitz in Dresden. In der neuen Funktion als Vorstandsmitglied und Leiter der Fabrikation geht Nagel 1926 ins ferne Dresden um bereits 1927, wegen seines angeblichen Temperaments und Bedürfnis nach unternehmerischer Freiheit, seinen Rücktritt anzubieten. „Contessa“ überlebt wenigstens dem Namen nach noch lange Zeit bei Contax, Pentacon oder Contaflex. Aber auch die Firma „Nettel“ bleibt im Nettar oder dem Sonnar erhalten. Letzteres ist ursprünglich nach der Sonne, welche sich im „sprechendem Wappen“ von Sontheim als Abbild finden lässt, benannt.

Ausgezahlt und raus aus der Zeiss Ikon AG macht sich Nagel gleich wieder ans Werk. Er kehrt nach Stuttgart zurück und erwirbt in Stuttgart-Wangen eine Maschinenfabrik. Von dort aus startet er eine neue Kameraproduktion, um sich wieder an die Spitze deutscher Kamerahersteller zu positionieren. Allerdings macht er keine großen Sprünge und benötigt einen finanzstarken Partner. Diesen findet er in Kodak Eastman, welche bereits seit 1927 auch Filme in Deutschland produziert. Ziel von Kodak ist es bereits seit der Kodak Brownie oder der Kodak Vest Pocket, eine Nische zum Massenmarkt zu machen und diese im Anschluss mit Verbrauchsmaterial zu beliefern und auch die komplette Laborleistungen anzubieten. Nicht umsonst lautet ein frühes Werbeversprechen seit der Kodak Brownie „Sie drücken auf den Knopf – wir machen den Rest!“. Kodak ist von Hause aus weniger Kameraproduzent, sondern kommt aus der Chemie.

Bei der Übernahme durch Kodak wird sich Nagel erstaunlicherweise schnell einig. Ein Grund mag darin liegen, dass Nagel Generaldirektor mit entsprechender Souveränität bleibt. Diese Handlungsfreiheit ist nun allerdings mit entsprechender Finanzkraft aus dem Mutterkonzern gepaart. Mittel, um in Stuttgart die Modellreihe der Retina zu entwicklen und in den Folgejahren stetig zu verbessern. In der Anfangszeit tragen die in Stuttgarter Kameras neben dem Namen Kodak immer noch den Zusatz „Dr. Nagel Werk Stuttgart“. Mit dem Patent auf die 135er Kleinbildpatrone gelingt Nagel und damit Kodak ein neuer Coup. Diese passte in alle vorhandenen Systeme und Nagel hatte vor allem die ideale Kamera dazu.

Zunächst in Deutschland, später erst in Amerika patentiert existiert diese Form der Kleinbildpatrone bis heute. August Nagel stirbt 1943. Das Werk Stuttgart-Wangen produziert kurz darauf keine Kameras mehr und wird zum Rüstungsbetrieb umfunktioniert. Im zweiten Weltkrieg fällt das Werk teilweise einem Bombenangriff zum Opfer. Im Jahre 1946 wird die Fertigung von Kameras wieder aufgenommen und die Modellreihe Retina wiederbelebt. Der Sohn von Nagel arbeitet als Vorstandsvorsitzender der Kodak Deutschland AG erfolgreich weiter. In der Folgezeit verliert der Standort Stuttgart-Wangen nicht an Bedeutung, jedoch setzt sich langsam die multinationale Produktreihe durch. Mitte der 1960er verschwindet die „Klapp“-Retina aus dem Produktprogramm.

Die Bezeichnung der Kodak Retina als „schwäbische Leica“ trifft „teils“ zu. Design, Verschlusstechnik und vor allem Zielgruppe unterscheiden sich wesentlich. Design und Technik sind fernab der vielen Leicakopien. Ohne Balgen und mit richtigen Wechseloptiken liegt der Vergleich mit der Kodak Retina IIIS schon näher. Dennoch hat die „Klapp“-Kodak Retina, ähnlich wie die Leica, viel Pionierarbeit in der Verbreitung der Kleinbildfotografie, geleistet. Die Retinas sind klassische Balgenkameras mit überarbeiteter Objektivplatte, welche den Balgen schützen. Diesen Ansatz findet man bereits in einfacherer Umsetzung bei der Nagel Vollenda 48. Leica bediente aufgrund des Preises bereits eine eher kleine Nische. Die Retina will zum Einstiegspreis von nur 75 Mark dabei mit hochwertiger Verarbeitung der Kleinbildfotografie zum Durchbruch verhelfen. Dabei war die Modellreihe der Retina keinesfalls eine Billigkamera. Trotz des Wiedererkennungswert und gleicher Komponenten unterscheiden sich die Modelle beim Sucher- beziehungsweise Meßsuchersystem und den Objektiven dann doch. Denn im anfänglich undurchschaubaren Modelldickicht waren die Modelle der Kodak Retina IIIc und IIIC mit Preisen von 438,- beziehungsweise 447,- Mark am anderen Ende des Einstiegssegments. Beide Kameras waren teuer und entsprechend mit einem sechslinsigen Objektiv und einer Lichtstärke von f2 ausgestattet. Dem HELIGON aus dem Hause Rodenstock und dem XENON von Schneider-Kreuznach. Hinzu kommt bei der „big C“ der entsprechend helle und große Sucher und die nicht mehr notwendige Klappe bei der Belichtungsmessung. Zum 50-jährigen Firmenjubiläum im Jahre 1977 von Kodak Deutschland ist es dann auch genau diese Modellvariante, welche in Kleinstauflage als Edition aus noch vorhandenen Originalteilen mit der Bezeichnung Kodak Retina III C 028/N entsteht. Im selben Jahr erscheint auch das Buch „Zauber der Kamera“ von Helmut Nagel, als Rückblick aber auch Hommage. Die gezeigten Kameras sind eine Retina IIIC sowie eine IIIc mit einem XENON beziehungsweise HELIGON. So hat die Kamera mit dem III „big C“ einen größeren Sucher. Kompaktheit, Verarbeitung, Qualität und vor allem das reichhaltige Zubehör machen die Kamera vor allem dort beliebt, wo Gewicht, Platz, Robustheit und Zuverlässigkeit eine wichtige Rolle spielen. So wie dies im Mai 1953. Tenzing Norgay und Edmund Hillary dokumentieren ihre erfolgreiche Bezwingung des Mount Everest – mit einer Klappkamera „Made in Germany“ aus dem Hause Kodak – Dr. Nagel Stuttgart. Das Werk in Stuttgart-Wangen existiert auch noch heute, allerdings als Bürocampus Stuttgart-Wangen.

Für die Retina waren neben der 50mm Standartoptik zwei weitere Objektive erhältlich. Das Curtar XENON C Weitwinkel mit 35mm oder das Longar XENON C Tele mit 80mm.

Curtar XENON 35mm

XENON 50mm

Longar XENON 85mm

Der erste Testfilm zu Zwecken der Funktionalität wurde mit Gelbfilter FII und einem Foma 100 gemacht. Weitere Bilder gibt es auf Flickr

https://flic.kr/s/aHsmX2CYhi

One Reply to “Kodak Retina IIIc / IIIC – die schwäbische Leica?”

  1. Tolle Idee und brillante Beschreibungen, ich bin begeistert. Nur ein kleiner (Besserwisser) Hinweis, die Kamera hat einen Balgen und keinen Balken, das weiss die Autokorrektur noch nicht 😊

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