Die Rolleiflex ist die „Ur“-TLR und gehört zweifelsohne zu den ikonischen und legendären Kameras mit Kultstatus. Die Kamera, die auch als „Königin der Zweiäugigen“ oder als das „Original“ bezeichnet wird, ist ein feinmechanisches und optisches Meisterstück. Die kompakte, aber massive und sehr schwere Mittelformatkamera wird daher aus guten Gründen von Fotografen weltweit geschätzt.
Idee zur Rolleiflex hat Reinhold Heidecke, eigentlich Konstrukteur bei der Traditionsfirma Voigtländer. Seine Ideen und Visionen finden aber nicht immer das Interesse anderer und so beschließt er Voigtländer zu verlassen um Kameras künftig selber herzustellen. Rollei sollte Jahre später noch lange Rechtsstreitigkeiten mit Voigtländer wegen den äußerlichen Ähnlichkeiten zur Brillant führen. Heidecke ist aber mehr Konstrukteur und weniger Geschäftsmann. Diesen fehlenden Partner findet er in Paul Franke. Zusammen gründen Sie am 1. Januar 1920 die Werkstatt für Feinmechanik und Optik Franke & Heidecke. Das Unternehmen ändert über die Jahre mehrfach den genauen Firmennamen und seine Rechtsform und heute mehr unter „Rollei“ geläufig. Das kleine Startup in Braunschweig entwickelt sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem führenden deutschen Kamerahersteller. Nach dem Erfolg der Rolleiflex, gab es fast keinen Hersteller der keine TLR in seinem Produktportfolio hatte. Manche Kopien sind dabei gar nicht so schlecht gelungen. Mit der Rolleicord gab es eine gut ausgestattete Modellreihe als Alternative zum Spitzenmodell Rolleiflex. „Flex“ und „Cord“ werden konsequent weiterentwickelt. So gibt es heute eine Vielzahl an unterschiedlichen Modellen, mit großen und teils eher marginalen Unterschieden. Der genaue Blick auf die Seriennummer lohnt sich daher, um sein Exemplar richtig einordnen zu können.
Allgemein versteht man unter einer Spiegelreflex in der Regel eine SLR, also eine „Singel-Lens-Reflex“. Bei einer Rolleiflex handelt es sich um eine TLR für das Mittelformat, also eine „Twin-Lens-Reflex“ mit einem Sucher-, sowohl einem Aufnahmeobjektiv. Das macht die Konstruktion für eine Mittelformatkamera 6×6 sehr kompakt. Die Trennung von Sucher und Aufnahmeobjektiv bringt sowohl Vor- wie auch Nachteile mit sich. Unkorrektere ergeben sich durch die Trennung der beiden Objektive und dem daraus resultierenden Abstand voneinander ein Parallaxenfehler. Im Gegensatz zur Rolleiflex haben nicht alle TLRs eine entsprechende Parallaxenkorrektur. Dafür ist das Sucherbild immer sichtbar, einen Spiegelschlag gibt es nicht. Auch müssen weniger Ansprüche an das Sucherobjektiv gestellt werden, da dies lediglich zur Fokussierung und Beurteilung des Bildausschnittes über den Lichtschacht mit Mattscheibe dient.
Hier vorgestellt eine Rolleiflex 2,8 E (Model K7E) mit dem Planar 80mm f2.8, welche zwischen Oktober 1956 bis zum Februar 1959 in einer Stückzahl von 44.000 hergestellt wurde. Die späte Seriennummer spricht für ein Modell gegen Ende von 1958 oder dem Frühjahr 1959. Die Kamera ist mit seinem lichtstarkem Planar von f2.8 seltener zu finden, als die Modelle mit einer Lichtstärke von „nur“ 3,5. Der hochwertige Synchro-Compur Zentralverschluss bietet Verschlusszeiten von 1 bis 1/500 Sekunde. In dieser Ausstattung kostete die Kamera im Jahre 1956 etwa 820 DM. Das klingt in Euro umgerechnet nicht viel, war aber 1956 bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 404 DM und hochgerechnet auf die heutige Zeit, dann doch eine teure Anschaffung. Ein fabrikneues Auto, wie der VW Käfer, war damals immerhin schon für 6000 DM zu haben. Preise also, für das man heutzutage wahrscheinlich nicht einmal ein E-Bike bekommt.
Bei der “E“ handelte es sich um das erste Modell mit eingebauten ungekuppelten Selen-Belichtungsmesser mit Wabenlinsen. Über einen kleinen Schalter kann dabei zwischen zwei Empfindlichkeitsbereiche umgeschaltet werden, indem ein Abdeckblech vor Selenzelle geschoben wird. Leider sind viele Selenzellen am Ende ihrer Lebenszeit angelangt oder liefern zumindest keine zuverlässigen Werte mehr. Mein Belichtungsmesser liefert allerdings zum Zeitpunkt von diesem Artikel noch gute Werte.
Über die abgelesenen Lichtwerte lässt sich am Syncro-Compur MXV Zentralverschluss mittels der Lichtwertskala die richtige Zeit-Blenden-Kombination einstellen. Diese Kopplung kann aber über die Sperrtaste am Blendenrad aufgehoben werden, um Blende und Verschlusszeit vollständig manuell einzustellen.
Die Belichtungstabelle wurde neu gestaltet um mit den ermittelten Belichtungswerten die langen Verschlusszeiten zu ermitteln.
Die Kamera hat auch heute noch ein ikonisches Design aus einer anderen Zeit. Die Kombination aus Metall, Chrom, Leder und Glas könnte aber ebenso eine seltsame Kombination aus Kamera, Transistorradio und Geigerzähler darstellen. Die Rolleiflex besticht jedenfalls aufgrund ihrer vielen Details in Kombination ihrer exzellenten Verarbeitung.
Mit der Rolleiflex wird oft in Brusthöhe gearbeitet. Blende und Verschlusszeiten können entsprechend von „oben“ eingestellt und abgelesen werden.
Neben der Skala zur Fokussierung kann über eine weiße Bandmarke in Abhängigkeit zur gewählten Blende die Tiefenschärfe abgelesen werden.
Der Lichtschaft mit Einstelllupe wird mit wenigen Handgriffen zum Sportrahmensucher. Über einen zweiten Spiegel kann auch dann noch die Schärfe über die Mattscheibe eingestellt werden.
Die Rolleiflex besitzt eine Doppelbelichtungsperre. Dreht man allerdings den gezahnten Kranz am Kurbelgelenk lässt sich der Verschluss spannen, ohne den Film weiterzutransportieren, um Mehrfachbelichtungen zu erstellen.
Der raffinierte Verschluss verhindert ein versehentliches Öffnen der Kamerarückwand.
Rollei bietet ein umfangreiches Zubehöruniversum für alle möglichen fotografischen Aufgaben. Vom bis 100 Meter druckerprobten Rolleimarin bis hin zum Rolleimeter. Von Vorsatzlinsen bis hin zum Fernglas von Steinheil, welches sich als Teleoptik adaptieren lässt. Neben einer Tele-Rollei mit 135mm kamen Rolleiflexe mit Wechseloptiken leider nicht über den Status von Prototypen hinaus. Eine Eigenart der Rolleiflexe ist auch das Bajonett. Zubehör wie Filter oder Sonnenblende benötigen meist das Bay I+II+III statt einem Schraubgewinde. Meine Rolleiflex mit dem lichtstarken Planar 2.8 benötigt beispielsweise das große Bay III. Das macht Zubehör seltener und damit teurer. In Zeiten von 3D-Druck kann man aber das eine oder andere Zubehör selbst herstellen.
Der fotografische Workflow ist etwas anders, als man dies von einer Kleinbild SLR gewohnt ist. Vor allem aber haben die Kameras einen ganz anderen Schwerpunkt, weshalb ich unbedingt zur Verwendung eines Tragriemens rate. Allgemein fällt man mit einer solchen “Twin Lens Reflex“ aufgrund ihrer äußeren Erscheinung doch etwas mehr auf, als mit anderen historischen Kameras der Fall ist. So wird man schnell aus einer Mischung von Faszination und Neugier mit den Worten „Darf ich mal durchschauen?“ oder „Gibt es noch überhaupt Filme?“ angesprochen und sieht sich schnell in einem Fachgespräch verwickelt.
Die Rolleiflex stand in Konkurrenz zu einer weiteren ikonischen und legendären Kamera – der Hasselblad. Zu Lebzeiten haben sich Reinhold Heidecke und Viktor Hasselblad persönlich getroffen und sich wertschätzend darauf geeinigt ihren eigenen Konzepten im Bereich Mittelformat treu zu bleiben und sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen. Dieses Gentlemen´s Agreement wurde erst nach dem Tod von Heidecke von Rollei gebrochen, welche damit das Feld der einäugigen Mittelformat-Kameras von Hasselblad betraten. Rollei konnte, wie andere deutsche Kamerahersteller letztlich auch, nicht mit den Entwicklungen der asiatischen Kameraindustrie Schritt halten. Neben der Entwicklung von einäugigen SLRs fürs Kleinbild und Mittelformat, dem großen Erfolg der Rollei 35 oder der Produktionsverlagerung nach Singapur war die Firma nicht mehr der Konkurrenz gewachsen. Die Serie der Zweiäugigen wurde 1981 eingestellt und erlebte 1986 mit der Rolleiflex 2.8 GX mit CdS Belichtungsmessung ein letztes und kurzes Comeback. Die Kamera beruht mechanisch im wesentlichen auf dem Vorgängermodell, allerdings wegen der neuen Belichtungsmessung mit Batterie und etwas Elektronik.
Vielen Dank an Hr.Leyk für diese tolle Zusammenfassung! Sehr schöne Foto und detailierte, technische Beschreibung, bringen mir meinen „neuen“ Schatz näher.
Viel Spaß mit der „neuen“ eigenen Rolleiflex. Sind tolle Kameras und absolute Klassiker. Gruß Rainer Leyn