Im Kulturteil der Schwäbischen Zeitung RV vom 15. Mai 2023 beschäftigt sich Stephan Cezanne im gleichnamigen Artikel mit einem Interview zwischen dem epd und Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder. Prof. Dr. Gunther Hirschfelder, seinerseits Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg hat seinen kulturwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkt in der Ernährungs- und Argrarforschung. Im aktuellen Interview geht er dem Phänomen einer analogen Fotografie als „Exit“-Strategie nach. Dahinter steckt seine Beobachtung, dass sich auch jüngere Menschen mit analogen Technologien beschäftigen und nicht immer stecke dahinter ein bloßer kurzfristiger Trend, den man sicherlich auch unter Begriffen wie Vintage, Retro oder einer Suche nach sinnstiftender Identität beschreiben könnte. Vielmehr stecke dahinter ein grundlegendes Bedürfnis nach Haptik und ursprünglicher Erfahrung im ansonsten privat und beruflich stark digital dominierten Umfeld. Die Beschäftigung mit analogen Dingen sieht Hirschfelder damit auch stückweise als Technologie- und Zivilisationskritik. Ähnliche Exit-Strategien in einem Zeitalter der Digitalisierung und der Suche nach bewusstem Erleben sieht Hirschfelder in der Ausübung von Extremsportarten. Das lässt mich an Base-Jumper und Höhlentaucher denken. Wie ein Extremsportler komme ich mir allenfalls mit Mittelformat- oder Grossformatfotografie in der Wildnis vor.
Selber sehe ich mehr einen stetigen Übergang in die abhängigere Konsumenten-, Benutzer-, Userrolle von Technik, statt zum Gestalter und Produzent derselben zu werden. Eine der größten Hürden bildet dabei sicherlich die steigende Komplexität aller technischen Dinge, nicht bezogen auf deren niederschwelligen Nutzung, aber im Verständnis, Verstehen oder auch Instandhaltung von dieser. Wendet man diesen Gedanken auf die analoge Fotografie an, ist ein solches Durchschauen von Technik in der Verwendung einer vollautomatisierten analogen SLR mit Programmautomatik ebenso wenig gegeben. Der Begriff „Analoge Fotografie“ hat daher beginnend von der einfachsten Lochkamera, Fachkamera bis zur technisierten SLR eine ganz unterschiedliche Bandbreite von Komplexität und viele Facetten. Eine geerbte Kamera, welche Jahre, wohl meist eher Jahrzehnte, nicht benutzt wurde, ist in der Regel nicht uneingeschränkt einsatzbereit. Ebenso würde dies aber niemand von einem Oldtimer erwarten, der 40 Jahre unbewegt in einer Garage stillstand. Ein weiteres Punkt sind die Hersteller von Geräten, Film, Chemie oder bestimmter Batterien, welche entweder vom Markt komplett verschwunden sind oder deren Angebot entsprechend schmaler geworden ist. Digitale Fotografie gibt im manuellen Modus unter der Berücksichtigung von Blende, ISO und Zeit eine ähnliche ehrliche Rückmeldung über die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dennoch erlegt einem die analoge Fotografie meist weitere Limitierungen und Größen auf. Das sind einerseits die begrenzte Anzahl der Bilder und andererseits manueller Fokus, fehlende Belichtungskontrolle und auch rein mechanisch gebildete und damit begrenzte Verschlusszeiten.
Viele fragen sich daher sicherlich, ob überhaupt ein Mehrwert besteht. An dieser Stellen wird zurecht die Entschleunigung und bewusstere Aufnahme genannt. Zum einen sehe ich analoge Fotografie als Initialphase für neue kreative Prozesse. So kann der Exkurs auch für Digitalfotografen neue Impulse und Sichtweisen anregen. Hinzu kommt, dass analoge Fotografie bei der Aufnahme nicht aufhört und sich auch hier eine entsprechende Postproduktionskette analog, digital oder hybrid anschließt. Mir selbst fällt im Gespräch immer der Vergleich zur Musik leicht. So erscheint für mich analoge Fotografie und deren technischen Gerätschaften mehr einem klassischen Instrument, statt der digital generierten Tonspur aus dem Computer. Niemand käme auf die Idee die Berechtigung, Nutzen, Qualität oder Notwendigkeit von einem Klavier oder eine Geige auch im Zeitalter der Digitalisierung in Frage zu stellen. Analog oder digital sind auch unabhängig voneinander austauschbar, denn auf beiden kann gleichermaßen zeitgenössisch gut oder ebenso schlecht darauf „gespielt“ werden. Dabei schließt die eine Welt, die andere nicht kategorisch aus. Auch können wie in der Musik auch, beide Welten mittels hybrider künstlerischer Prozesse zur Generierung gänzlich neuer Inhalte eine Synthese finden. Somit ergeben sich mit klassischem Know-How mit dem „Hier und Jetzt“ auch neue Wege, wenn man das möchte. Die Tiefe, das persönliche Interesse und Engagement bleibt natürlich der Freiheit des Einzelnen überlassen und kennt verschiedenste Grade der Konzepte und der Professionalisierung.