Wer ist Emanuel Goldberg?

In seinem Buch „Emanuel Goldberg and his Knowledge Machine: Information, Invention, and Political Forces“ versucht Michael Buckland eine Lücke in der Geschichtsschreibung zu schließen. Dabei handelt es sich um die Person von Dr. Emanuel Goldberg. Dieser war international bekannter interdisziplinär arbeitender Erfinder, Chemiker, Wissenschaftler, Hochschulprofessor und Lehrer. Darüber hinaus war er als Vorstand und Generaldirektor bei der ICA, dann bei der Zeiss Ikon AG und weiteren Unternehmen tätig. Gleichzeitig aber auch ein Mann, dessen Geschichte und Errungenschaften aufgrund seiner Herkunft weitgehend verschwand. Goldberg gilt als Pionier in unzähligen Bereichen der Fotografie, dem Bewegtbild, dem Fernsehen, dem Mikropunkt, dem Goldbergkeil und vielem mehr. So entwickelte er beispielsweise bereits bei der ICA die Kinamo, eine Filmkamera für den Amateur, deren Werbefilm er selber mit seiner Familie drehte. Mit seiner „Statistischen Maschine“ hat er die Erfindung der Suchmaschine und dem Computer vorweggenommen. Aufgrund anderer Interessen wurden seine Entdeckungen durch andere beansprucht oder gerieten in Vergessenheit. So wird heute die Entwicklung der Contax maßgeblich dem Chefdesigner Heinz Küppenbender zugeschrieben oder der Ingenieur Vannevar Bush als Vater der Informationstechnologie gefeiert.

Podcast: Wer ist Emanuel Goldberg?

Emanuel Goldberg an seiner Drehbank. Glasnegativ. Nachlass gestiftet von der Familie Gichons an die Museen der Stadt Dresden – Technische Sammlung CC-Lizenz , nichtkommerzielle Nutzung , keine Bearbeitung

Emanuel Goldberg beschrieb sich selber als „a chemist by learning, physicist by calling, and a mechanic by birth.“ Goldberg kommt 1881 in Moskau zur Welt. Der technikbegeisterte Mann hat die Überzeugung, man solle stets ein vielfaches an Anstrengung in die Erfindung einer Maschine investieren, als selber die entsprechende Aufgabe zu bewältigen. Sein Studienantrag wird trotz Bestnoten abgelehnt, da nur ein jüdischer Student pro Jahrgang zugelassen wird. Er entscheidet sich daher Chemie zu studieren. Später geht er nach Leipzig, da das deutsche Hochschul- und Universitätssystem flexibler und durchlässiger ist. Es folgt eine bahnbrechende akademische Karriere und Lehrtätigkeit, er beschließt aber dann in die Industrie zu gehen. Statt Angeboten von KODAK nach Amerika zu folgen, geht er zur ICA nach Dresden. Dort und bei der neu gegründeten Zeiss-Ikon AG wird er zum Vorstandsmitglied und Generaldirektor.

Kopie aus Sammlerhand aus dem Geschäftsbericht 1928 der Zeiss Ikon A.G. Dresden

Für einen Wissenschaftler mit russisch-jüdischen Wurzeln bietet das Deutschland jener Jahre aber keine Zukunft. 1933 wird Goldberg in einer nicht offiziell angeordneten Aktion der SA mit vorgehaltener Waffe aus den Räumlichkeiten der Zeiss Ikon AG entführt. Unter berechtigter Todesgefahr muss der Entführte die Niederlegung seiner Ämter und weitere Zugeständnisse verfassen. Auf starken Druck, Interventionen und Verurteilung der Einzelaktion als Amtsanmaßung kommt Goldberg frei. Goldberg soll nach diesem Ereignis die Räumlichkeiten der Zeiss Ikon AG nicht mehr betreten haben. Er bereitet stattdessen seine sichere Ausreise für sich und seine Familie aus Deutschland vor.

C-Lizenz Stolperstein für Emanuel Goldberg, Oeserstraße 5, Dresden. Aufgenommen von Dr. Bernd Gross. 15. März 2018. Der Urheberrechtsinhaber erlaubt es jedem, dieses Werk für jeglichen Zweck, inklusive uneingeschränkter Weiterveröffentlichung, kommerziellem Gebrauch und Modifizierung, zu nutzen.

In Deutschland folgen Entlassungen an den Universitäten und Hochschulen, was eine Emigrationswelle freisetzt. Auch Goldberg verliert seine Lehrlaubnis, wird aber indirekt in einem Anstellungsvertrag bei Zeiss Ikon behalten. Eine kurze Notiz im Bericht des Aufsichtsrates informiert am 10. März 1934, dass Goldberg den Vorstand des Mutterhauses verlassen hat, um die Leitung der französischen Tochtergesellschaft Ikonta zu übernehmen.

Kopie aus Sammlerhand aus dem Geschäftsbericht für die Zeit vom 1. Oktober 1932 bis 30. September 1933 der Zeiss Ikon A.G. Dresden

Dort übernimmt er offiziell einen Posten als technischer Direktor. Seine dortige Position ist aber ohne wirkliche Zuständigkeiten, noch Forschung geprägt. Im Gegensatz zu den Zugeständnissen erhalten seine Kinder eine Ausreisegenehmigung um die Familie zusammenzuführen. Sein bewegliches Hab und Gut wird nach Frankreich transportiert. Ein Ausscheiden aus der Firma ist aber an strenge Bedingungen geknüpft und kommen eher einem lebenslangen Wettbewerbs-, Arbeits- und Forschungsverbot gleich. In Anbetracht eines weiteren aufziehenden Krieges erkennt Goldberg, dass Frankreich nur eine Zwischenstation sein wird und beschließt nach Palästina zu emigrieren. Nachdem er bereits zwei Mal in seinem Leben Diskriminierung erleben musste, beschließt er nicht nach Amerika, sondern nach Palästina zu gehen. Dabei hätte es durchaus Einladungen von seinem alten Freund Mees gegeben in die USA zu KODAK zu kommen. Er emigriert 1937 in ein Land im Aufbau und fernab von Hochtechnologie und Forschung. Dort gründet er ein erfolgreiches Labor für Feinmechanik und bildet junge Menschen aus. Während und nach dem Krieg herrscht überall Materialknappheit. Buckland beschreibt, wie Scheiben von Panzern zum Rohmaterial für Linsen wurden oder ein abgestürztes Flugzeug als Rohstoffquelle für Aluminium diente. Die Welt ist aber im Umbruch und die Elektronik dominiert immer mehr gegenüber mechanischen und chemischen Lösungen.

Drehbank ehem. Besitzer: Emanuel Goldberg (31.8.1881 Moskau – 13.9.1970 Tel Aviv), Hersteller: Lorch, Schmidt & Co. Frankfurt Drehbank 1913. Nachlass gestiftet von der Familie Cichons an die Museen der Stadt Dresden – Technische Sammlung CC-Lizenz , nichtkommerzielle Nutzung , keine Bearbeitung

Als Lehrender an der Königlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe hat Goldberg eine Drechselbank von Lorch, Schmidt & Co angeschafft. Nach seinem Wechsel in die Industrie, hat er diese privat erworben. Diese reiste von Dresden über Paris, bis ins Exil nach Tel Aviv und kehrte wieder in die Technische Sammlung der Museen nach Dresden zurück. Goldberg hat mit seiner Statistischen Maschine nicht nur die Idee einer mikrofilmbasierten Bibliothek der Zukunft entworfen. In Zeiten von Digitalisierung eigentlich nicht vorstellbar, ist das chemisch basierte Medium Film und besonders Mikrofilm für Archivare interessant. Dieses ermöglicht eine zuverlässige wartungsfreien Langzeitarchivierung über mehrere Jahrhunderte und so könnte die Vision einer mikrofilmbasierten Bibliothek in Kombination von Elektronik, vielleicht doch noch eine Umsetzung erfahren.

So befindet sich im Barbarastollen des ehemaligen Bergwerks Schauinsland in der Nähe von Freiburg im Breisgau ein mikrofilmbasiertes Langzeitarchiv. Hier gezeigt das Besucherbergwerk.

Der Nachlass von Emanuel Goldberg wurde von dessen Familie gestiftet und befindet sich nun im Sammlungsbestand der Technischen Sammlung der Museen der Stadt Dresden, welche 2017 in einer Sonderausstellung gezeigt wurde. Michael Buckland hat die Geschichte von Emanuel Goldberg zusammengetragen. Der Dokumentarfilmer und Journalist Leif Allendorf hat die Geschichte im Film „Die Goldberg-Papiere“ festgehalten. Letztlich kommt man zu dem Schluss, dass dieser Teil in der Geschichte von Zeiss (Ikon) bis heute noch nicht richtig beleuchtet wurde. Ich empfehle daher das Buch von Buckland, sowie den Dokumentarfilm von Leif Allendorf, um sich ein eigenes Bild über die Rolle von Dr. Emanuel Goldberg und dessen Wirken zu machen, aus den Geschehnissen einer Zeit, die Helge Pross als die „Geistige Enthauptung Deutschlands“ bezeichnete.

Die Robert-Luther-Stiftung Forum schreibt seit 2010 jährlich den Emanuel-Goldberg-Preis für herausragende Dissertationen der TU Dresden auf den Gebieten Optoelektronik und Photonik aus.

One Reply to “Wer ist Emanuel Goldberg?”

  1. Ein Hochinteressanter Bericht über einen grandiosen Erfinder und Mensch!
    Solche wichtigen Menschen gab es selten und umso wichtiger ist es sie nicht in Vergessenheit zu bringen
    Meine Hochachtung für diesen Menschen!

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