„Gibt es irgendwo irgendjemanden, der diese Kameras ernsthaft nutzt? Ich habe Exemplare in meiner Sammlung, anscheinend funktionieren zumindest einige davon noch, ich habe noch nie Filme damit gemacht, sie wirken schwerfällig und nicht benutzerfreundlich, verglichen mit japanischen Kameras aus derselben Zeit.“ So ungefähr der Kommentar auf ein Foto meiner Icarex 35 TM, welches ich in einem Forum gepostet habe, Heavy Metal eben „Made in Germany“. Der Meinung kann ich mich sogar teils anschließen, aber um die generelle Frage zu beantworten. Ja!
Deutschland in den 1960er Jahren. Die neue Konkurrenz aus Fernost hat sich erst vieles abgeschaut und setzt nun die deutsche Kameraindustrie durch innovative Neuerungen unter Druck. Im Gegensatz dazu, trifft die deutsche Kameraindustrie falsche oder besser gesagt traditionelle Entscheidungen und gerät vor allem dadurch ins Hintertreffen. Das angeschlagene Braunschweiger Traditionsunternehmen Voigtländer und Zeiss Ikon sind bereits seit 1956 Teil der Carl-Zeiss-Stiftung. Mitte der 1965 wird getrennt und irgendwie auch miteinander produziert. Die Modelle sind teils als „Zeiss-Ikon“ oder als „Zeiss-Ikon / Voigtländer“ gelabelt. Die Zusammenarbeit währt allerdings nicht lange, und so wird Voigtländer bereits 1971 an Rollei verkauft. Wenige Jahre später schließen sich die Türen von Voigtländer für immer. Firmenname, Marken und die damit verbundenen Rechte bestehen weiter und wegen deren hervorragendem Ruf entsprechend verwertet. Die Icarex-Modellreihe erscheint ab dem Jahre 1966 und steht damit nicht am Höhepunkt, sondern eher am Endpunkt der deutschen Kameraindustrie. Mehr eine Spiegelreflexkamera von Voigtländer als von Zeiss Ikon, scheint diese retrospektiv eine strategische Fehlentscheidung zu sein. Dabei handelt es sich bei der 35, 35 BM, 35 TM um eine Systemkamera mit drei verschiedenen Suchern und sechs austauschbaren Mattscheiben.
Die anfängliche Wahl des sicherlich durchdachten BM „Bajonett Mount“ für die Objektive, erwies sich in Sachen Akzeptanz ungünstig. Daher wurde diese Entscheidung später zugunsten einer Version mit „Thread Mount“, nicht anderes als das erstmal verpönte „Ost“ M42 Bajonett, korrigiert. So war die Kamera nun sowohl als Icarex 35 BM und Icarex 35 TM erhältlich.
Später folgte noch die Icarex 35 als „CS“, was sich allerdings lediglich auf den Wechselsucher mit Belichtungsmesser bezieht.
Der Waist-Level-Finder ist nicht nur eine Augenweide, sondern besticht durch seine rahmenlose Lupe.
Diese Unterscheidung nach Bajonett blieb auch im Nachfolgemodell zwischen der Icarex 35S BM und 35S TM erhalten. In der etwas höheren „S“ wird zwar die dringend benötigte TTL-Belichtungsmessung umgesetzt, jedoch büßte die Kamera durch das feste Prisma die Vorzüge einer Systemkamera ein.
Die Messung mittels Arbeitsblende blieb gegenüber dem aktuellen technischen Stand zurück. Erst mit dem Nachfolger Icarex 35S, der SL706, wird mit einer Offenblendmessung nachgebessert, welche aber nicht generell mit allen M42 Objektiven kompatibel ist. Generell gesehen war die Objektivpalette nicht nur übersichtlich, sondern „bewährt“, positiv formuliert „traditionell“ und damit nicht sonderlich attraktiv. Auch die schwarzen „Pro“-Versionen brachten offenbar keinerlei technischen, sondern nur farbliche Unterschiede mit sich. Dabei war Voigtländer meiner Meinung nach stets schon ein Meister im Bereich der Galvanisierung. So ist die „SLR aus glänzendem Chrom“ meiner Meinung sogar die bessere Wahl.
Die „Voigtländer“ Icarex durfte wohl auch gar nicht „zu gut“ sein, um nicht die Stellung des Flagschiffes aus dem Stammhaus Zeiss Ikon zu gefährden. Die Icaflex stürzte daher weniger wie Icarus ab, weil diese der Contarex oder anderen Kameras aus dem Land der aufgehenden Sonne zu nahe kam und damit zu einer möglichen Konkurrenz wurde. Unter dem späteren neuen Eigentümer Rollei stieg die Reihe ebenso wenig wie Phönix aus der Asche wieder auf, sondern wurde als Voigtländer VSL neu gelabelt oder als inlegitimer „Nachfolger“ der fortschrittlicheren Rolleiflex SL35 wieder aufgewärmt. Was also spricht überhaupt für Icarex? Ich selber hab mich bewusst für das Modell Icarex 35 TM mit dem Carl Zeiss Ultron 50mm f1.8 entschieden und spätesten jetzt sollte der eine oder andere Leser hellhörig werden.
Die Kamera „Made in Germany“ ist mehr als solide gebaut, robust und entsprechend schwer. Nach damaligen Geschmack aber Größe, Gewicht und Ausstattung wenig modern. Als Systemkamera mit weniger Elektronik als die „S“, bietet die Kamera drei verschiedene Wechselsucher und sechs austauschbare Mattscheiben. Der BM Bajonett Mount hat seine Vorzüge und es existiert auch ein entsprechender Adapter. Mit dem Thread Mount eröffnet sich mir aber gleichzeitig ohne Umwege die Nutzung eines ganzen Objektivuniversums. Das ist aber in der Regel nicht der Grund sich eine „TM“ zu kaufen. Vielmehr hat man bei dieser Modellreihe ein ganz bestimmtes Objektiv im Blick. Der Icarex wurde ein neu gerechnetes Ultron spendiert, welches anfänglich auch nur mit BM-Mount und damit der Icarex vorbehalten blieb. Das Ultron aus dem Hause Voigtländer galt stets als herausragendes Objektiv und auch dessen neuer Nachfolger sollte diesem Ruf gerecht werden. Sicherlich nicht das allerbeste 50mm Objektiv, aber ein sehr sehr gutes, dass leicht einen Abstand zu anderen Konstruktionen herstellte. Das Ultron, ein klassisches Objektiv aus dem Hause Voigtländer ist zwar als Carl Zeiss gelabelt, aber von Albrecht Wilhelm Tronnier für die Braunschweiger neu gerechnet. Tronnier ist bereits der „Vater“ von vielen bekannten Objektiven. Der urbanen Legende nach, ob nun wahr oder nicht, soll das Objektiv aus einer Wette zwischen Frank Back und Albrecht Tronnier entstanden sein. Ersterer soll gemeint haben, dass das erste Element eines Objektivs stets aus einer konvexen Linse bestehen müsse. Tronnier bewies, dass es auch „anders“ mit einem konkaven Frontelement funktioniert. Die besonders guten Abbildungsleistungen dürften auch darauf beruhen, dass man sich zu dieser Zeit wohl erstmal einem ZUSE Computer für die komplexen optischen Berechnungen bediente.
Mein persönliches Fazit? Während der Body der Icarex also hochwertig, aber technisch recht traditionell blieb, handelte es sich bei dem Carl Zeiss Ultron 50mm f1.8 um eine computerberechnete Neuschöpfung mit einer Konstruktion, die mit bestehenden Konzepten brach. Natürlich lädt dies zur Adaption an ein, weshalb der Body meist vernachlässigt wird. Hochwertige Fertigung und wenig Elektronik kann heute gesehen von Vorteil sei. Wer ohnehin auf Belichtungsmessung verzichten möchte oder wem der ungekuppelte Sucher mit Belichtungsmesser reicht, dem sei vor allem die Icarex 35 TM in Kombination mit dem Carl Zeiss Ultron 50mm f1.8 ans Herz gelegt und diese Kamera aus der Versenkung oder der Vitrine zu holen.
Testfotos folgen hier in Kürze, ein eigenen Review zum Carl Zeiss Ultron 50mm f1.8 ebenso.
Hallo Rainer, ich habe Deine Retina 117 gekauft und du hast auf Deinen Blog verwiesen. Nun bin ich hier bei der Icarex hängengeblieben. Ich habe mehre Exemplare und auch das Ultron mit BM-Mount. Ich verwende es heute gerne an meine Fuji X-Pro 2, wenn ich ein Spitzen 50er benötige.
Schöner Artikel, schöne Bilder von der Icarex. toller Blog
Gruß martin