Rolleiflex SL66 – Angriff auf Hasselblad?

Die Rolleiflex SL66 ist eine einäugige Spiegelreflexkamera fürs Mittelformat die 1966 auf der Photokina in Köln vorgestellt wurde. Die Rolleiflex SL66 brach mit dem gegenseitigen Versprechen und der mündlichen Vereinbarung zweier visionärer Männer. Viktor Hasselblad und Reinhold Heidecke einigten sich einst bei einem gemeinsamen Treffen darauf, sich gegenseitig keine Konkurrenz zu machen. So sollte eine Rolleiflex eine klassisch TLR, eine Hasselblad eine SLR im Format 6×6 bleiben und sich die beiden Firmen damit gegenseitig keine Konkurrenz machen.

Mit dem Tod einer der beiden Männer und den veränderten Marktbedingungen scheint dieses Bündnis, oder dieses Gentlemen´s Agreement, nicht mehr verbindlich gewesen zu sein. So ikonisch die Rolleiflex TLR sind, konnte man es sich im angespannten deutschen Markt der Kameraindustrie in Ost und West, der wachsenden Konkurrenz im Ausland es sich vermutlich wirtschaftlich nicht mehr leisten, das Konzept einer SLR im Mittelformat in der eigenen Produktpalette auszulassen.

Mit der Rolleiflex SL66 kam damit eine einäugige Mittelformat SLR auf den Markt, welche vom Konzept ganz klar als Konkurrenz zur Hasselblad 500 gedacht war. Allerdings handelt es sich bei der SL66 trotz des modularen Würfelsystems nicht um eine bloße Kopie, sondern diese kann mit ein paar Besonderheiten gegenüber einer Hasselblad aufwarten.

Das vielleicht schönste Feature der SL66 mit dem sich diese zur Hasselblad abgrenzen? Die Kamera lässt sich nach oben und unten jeweils um 8 Grad tilten. Damit sind immerhin einfache Verstellungen möglich. Die Platte mit dem Rolleiflex Logo ist entsprechend nicht fest angebracht, sondern wandert entsprechend den Verstellungen nach oben oder unten.

Das Ergebnis der entsprechenden Verstellungen lassen sich dann über die Mattscheibe der SLR direkt beurteilen.

Die Fokussierung wird nicht über das Objektiv, sondern durch den Balgen und eine einseitige Zahnstange und einem Zahnrad realisiert. Die Zahnstange kann durch Krafteinwirkung oder einem Unfall zerstört oder verbogen, dass Zahnrad auch abgenutzt sein. Beim Kauf sollte man entsprechend darauf achten, ob diese leichtgängig und ruckelfrei ist.

Im Gegensatz zur Hasselblad hat die Kamera keinen im Objektiv sitzenden Zentralverschluss, sondern einen entsprechend grossen Tuchverschluss. Dieser bietet Verschlusszeiten von bis zu 1/1000, während die Zentralverschlüsse in der Regel auf 1/500 limitiert bleiben.

Ganz dem Namen vom Flagschiff „Rolleiflex“ verpflichtet, handelt es sich auch bei der SL66 um eine tadellos verarbeitete hochwertige Kamera, die sich an die professionelle Nutzung oder den ambitionierten Amateur richtete und zurecht auch heute noch richtet. Was vor allem heute noch gefällt, die SL66 ist eine rein mechanische Kamera ohne Elektronik, Batterien und Akkus. Manchmal Dinge aus Frühzeiten der Elektronik und Mikrochips die heutzutage zu Einschränkungen führen können. Da es sich bei der SL66 um eine Kamera aus den 1960+ handelt die im Idealfall regelmäßig eine CLA erfahren hat, bleibt aber auch hier der Bedarf an Ersatzteilen und entsprechenden Service der manchmal nicht immer einfach zu finden ist. Das Serviceheft zur Rolleiflex SL66 mit Explosionszeichnungen ist im übrigen im Netz frei als PDF verfügbar.

Die SL66 verfügt zur Fokussierung über einen recht langen Balgenauszug, womit man stufenlos und ohne Zwischenringe näher ans Motiv kommt – sehr praktisch, aber natürlich auch im Einsatz draußen vielleicht etwas verletzlicher. Eine weitere interessante Besonderheit ist das Bajonett. Dieses ist „doppelt“, was meint, man kann die Objektive sowohl normal als auch in Retrostellung ansetzen.

Das Planar wird damit beispielsweise zum Makroobjektiv mit einem recht ordentlichen Vergrößerungsmaßstab.

Die Objektive selbst sind insgesamt nicht nur einfacher, sondern auch wartungsfreundlicher gebaut. Objektive von Hasselblad verfügen (in der Regel) jeweils ihren eigenen Zentralverschluss und einen eigenen Schneckengang zur Fokussierung. Diese sollten daher bei jedem einzelnen Objektiv in Ordnung sein. Gerade hier hat lange nicht genutzte Ausrüstung eher in der Regel als in der Ausnahme entsprechende Verharzungen, feste Öle oder Fette. Neben mangelnder Geschmeidigkeit macht sich dies meist bei den längeren Verschlusszeiten bemerkbar. Weitere kleinere aber schöne Details der SL66 sind: Die Kamera verfügt über eine Spiegelvorauslösung, um damit den Spiegelschlag und mögliche Verwackelungen zu reduzieren. Auch die Öse für zum anbringen eines Gurt ist beidseitig 360 Grad beweglich.

Der seitliche ausklappbare Kurbel wird nicht gedreht, sondern muss erst im Uhrzeigersinn bis zum Anschlag, dann dagegen wieder in die Ausgangsstellung gedreht werden. Damit wird zum einen der Verschluss gespannt und zum anderen der Film weitertransportiert. An der Kurbel befindet sich ein weiterer kleiner Knopf. Bei dessen Betätigung wird der Filmtransport ausgesetzt und dann lediglich der Verschluss gespannt. Dies ermöglicht Mehrfachbelichtungen.

Der Auslöser mit Innengewinde lässt sich sperren und entsperren. Die Einstellung mittels einem roten Punkt markiert.

Magazin und Kamera können gern mal „desynchronisiert“ werden, wenn das Magazin beispielsweise nicht richtig an die gespannte Kamera angesetzt wird. Im schlechtesten Falle lässt sich das Magazin dann nur mit einem Dark Slide mit entsprechender Aussparung vom Body. Das Magazin lässt sich übrigens auch nur mit eingesetztem Schieber ansetzen oder abnehmen.

Die Magazine können sowohl 120er und auch 220er Film verarbeiten. Das Zählwerk wird über einen dezenten Schiebeschalter an der Seite des Magazins umgeschaltet. Der Drehknauf springt am Ende des Films automatisch heraus um das Schutzpapier vollends über den belichteten Film zu wickeln.

Ein Strich auf der Unterseite signalisiert, ob das Magazin geladen ist oder nicht. In der Abbildung befindet sich demnach gerade kein Film, da der Strich nicht auf den Punkt zeigt.

Das verwendete Magazin war tatsächlich ebenso beim Erhalt blockiert. Diese Blockade konnte aber dann doch recht einfach wieder gelöst werden. Leider kommen einem beim aufschrauben des Magazins gleich zwei kleine Federn entgegen. Diese werden aber für die Freigabe des Magazins und zum Ansetzen und Abnehmen von diesem gebraucht.

Insgesamt ist die SL66 eine schöne Kamera eingebettet in ein durchdachtes System und einer schönen Objektivpalette. Auch für mich als Hasselblad-„User“ ist es daher verständlich und nachvollziehbar, dass die SL66 eine überzeugte Fangemeinde hat und einer Hasselblad oder Mamiya vorziehen. Rollei schickte mit der SL66 eine Kamera die gegenüber der Hasselblad mit dem Balgen und Verstellungen weitere Möglichkeiten bot. Dennoch konnte sich diese im Gegensatz zur Hasselblad nicht ganz so durchsetzen. Die Rollei SL66 wurde damit wohl in einer Stückzahl von etwa 28900 Einheiten gebaut. Vielleicht wäre dies mutmaßlich doch im Sinne von Reinhold Heidecke und einer Vereinbarung mit Viktor Hasselblad gewesen. Der SL66 folgte noch die SL66E mit integralen Belichtungsmesser, die SL66SE mit Integral- und Spotmesssung und die SL66X mit einer schwarzen statt silbernen Body sowie noch Sondereditionen, die aber nur für Sammler eine Rolle spielen dürfen.

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