1919 treffen sich in Braunschweig zwei Männer mit gemeinsamen Ideen und Interessen. Kurz darauf gründen sie am 1. Januar 1920 das Unternehmen „Franke & Heidecke“ mit Firmensitz in Braunschweig. Ein Unternehmen, dass abseits der etablierten deutschen Kamerahersteller Weltruhm erlangen sollte. Beide Gründer bringen neben Visionen drei gute Voraussetzungen für ein aufstrebendes junges Unternehmen mit: Innovation, Marketing und vor allem Erfahrung im Verkauf und Konstruktion. Paul Franke lernt in jungen Jahren das Unternehmen Voigtländer kennen, wo er bereits seinen späteren Geschäftspartner kennenlernt. Die damaligen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse zwingen ihn dazu sich immer wieder beruflich neu zu orientieren. So ist Franke unter anderem als Fotoverkäufer und Fotokaufmann beruflich unterwegs um dann eine eigene Fotohandlung in Berlin zu gründen. Paul Franke galt als guter Geschäftsmann mit viel Gespür und Marketinggeschick der das Unternehmen „Franke & Heidecke“, manchen später besser bekannt als Rollei, zum Weltruhm führte. Der talentierte Mechaniker und Konstrukteur war Reinhold Heidecke. Er stammt im Gegensatz zu Franke aus eher bescheidenen Verhältnissen. Bei der Firma Voigtländer entwickelte er sich zu einem hervorragendem Mechaniker und Konstrukteur in leitender Funktion, der aber Ambitionen hegt sein eigenes Unternehmen zu gründen. Dazu fehlen ihm weniger die Ideen aber die finanziellen Mittel, Banken die an ihn glauben und das kaufmännische Geschick. Dies findet er bei seinem Bekannten und zukünftigen Geschäftspartner Franke.
1928 werden bei “Franke & Heidecke“ erste Prototypen einer neuen Kameraidee angefertigt, das erste Modell kommt ein Jahr später in Serienreife auf den Markt. Die erste Rolleiflex mit einem neuen Kameraprinzip, dass die nächsten 40 Jahre Bestand haben sollte und oft kopiert wurde. Die Rolleiflex gehört zu den ikonischen Kameras und dem Werkzeug professioneller Fotografen. Als Voigtländer die äußerlich doch recht ähnliche „Brillant“ heraus bringt, kommt es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Franke und Heidecke mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber. Die Brillant und deren späterer Weg in die Sowjetunion wird an anderer Stelle dieser Website beschrieben. In Konkurrenz stand die eher für die Masse gedachte Voigtländer Brillant meiner Meinung nach noch nicht, dies änderte sich schon eher Jahre später mit der Brillant “S“ oder der Brillant “Superb“. Die Rolleiflex bildete immer das Spitzenmodell, gefolgt von der etwas einfacher ausgestatteten Rolleicord. Die TLR, also Twin Reflex Kameras, besitzen ein getrenntes Aufnahme- und Sucherobjektiv. Im Gegensatz zu einer SLR, also Single Lens Reflex, muss hier kein Spiegel hochgeklappt werden. Das ergibt Nachteile wie dem (noch fehlenden) Parallaxenausgleich, aber auch Vorteile in Form einer äußerst kompakter Bauweise, dem fehlendem Spiegelschlag oder dem immer sichtbar bleibenden Suchereinblick.
Beim gezeigten Modell mit der Seriennummer 262XXX handelt es sich um zweite Modell der Rolleiflex, genauer gesagt um das Model Standard 6×6 K2 621. Diese Modelle wurde zwischen Februar 1932 bis Januar 1935 in einer Stückzahl von fast 40.000 Exemplaren gefertigt wurde. Beim Aufnahmeobjektiv handelt es sich um ein Zeiss Tessar 7,5cm f3,8 aus Jena, dem sogenannten “Adlerauge“. Dieses wurde im Jahre 1902 von Paul Rudolph berechnet und von der Firma Zeiss patentiert. Als Sucherobjektiv wurde ein Heidoskop-Anastigmat 7,5cm f3,1 verwendet. Als Vorkriegskamera sind die Objektive entsprechend noch nicht vergütet. Mit einem Gewicht von 800 Gramm hält man mit einer Rolleiflex eine kompakte ausgewachsene Mittelformatkamera für das Negativformat 6×6 in der Hand.
Speziell und nur bei diesem Rolleiflexmodell zu finden ist der recht archaisch wirkende Sportsucher mit Fadenkreuz, mit welchem man Fotos ohne Blick auf die Mattscheibe “schießen“ konnte. Eine punktgenaue Fokussierung ist aufgrund der Tabelle zur hyperfokalen Fokussierung nicht unbedingt notwendig.
Der Lichtschacht verfügt über eine recht filigran gearbeitete klappbare Lupe, welche aber immerhin nun einige Jahrzehnte unbehelligt überstanden hat. Mattscheiben aus der Vorkriegszeit werden nicht zu unrecht als recht dunkel bemängelt, bei Tageslicht ist diese Mattscheibe nicht überragend aber durchaus brauchbar.
Der Rollfilm wird mittels der Transportkurbel weitertransportiert. Die Bildnummer kann am Bildzähler abgelesen werden. Zurückgesetzt wird der Bildzähler an einem darüberliegenden Knopf, dessen Fassung gleichzeitig für den Trageriemen genutzt werden kann. Zur Kontrolle oder zur Positionierung der Startmarke können die beiden roten Sichtfelder hinten (B1 Film 6×6) und unten (B2 Film 6×9) genutzt werden.
Mit der linken Hand wird fokussiert, mit der rechten der Film transportiert, der Verschluss gespannt und ausgelöst. Aufgrund dem Suchereinblick von „oben“, befindet sich die Anzeige von eingestellter Blende und Verschlusszeit oberhalb des Aufnahmeobjektivs. Die Kamera besitzt einen Compur Zentralverschluss mit Verschlusszeiten von Bulb, Time, 1 Sekunde bis 1/300. Die Blendenstufen reichen von 3,8 bis 22. Generell sollte der Verschluss erst gespannt, dann die Verschlusszeit eingestellt werden.
Praktisch sind die beiden gravierten Messingplatten auf der Rückseite welche Blenden-Zeit-Kombinationen, sowie die bereits erwähnte Tiefenschärfentabelle zur hyperfokalen Fokussierung vom Tessar anzeigt.
In späteren Jahren traf Heidecke auf Viktor Hasselblad. Beide schätzten sich gegenseitig als Konstrukteure und trafen angeblich unter Gentlemen die Vereinbarung, dass Hasselblad niemals eine TLR und Rollei niemals eine SLR fürs Mittelformat bauen werde. Dennoch brachte das Unternehmen Rollei letztlich doch mit der SL 66 im Jahre 1966 eine Single Lens Mittelformatkamera auf den Markt. Heidecke verstarb bereits 6 Jahre zuvor im Jahre 1960 und auch sein Geschäftspartner Paul Franke war 1950 verstorben. Die Firma Rollei feierte einen weiteren Erfolg mit der Rollei 35, er damals kleinsten Kleinbildkamera und aufgrund der beiden Drehräder für Verschlusszeit und Blende der zweiäugigen großen Schwester optisch etwas ähnlich. Vom einst großen Unternehmen von Franke und Heidecke ist nicht viel geblieben. Es folgte die Produktionsverlagerung nach Singapur, konnte aber mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt halten und erlitt ein ähnliches Schicksal wie andere deutsche Kamerahersteller auch.
Testfotos folgen in Kürze. Der erste Testfilm war bereits vielversprechend, allerdings muss ich noch ein kleines Light Leak finden beziehungsweise klären, weshalb sich ein hellerer Streifen eingeschlichen hat. Alle Zeiten des Verschlusses laufen perfekt bis hin zur 1 Sekunde, nicht schlecht für eine Kamera die fast 90 Jahre auf dem Buckel hat.