Diax – Ulmer Startup?

​6. Januar 2023 in Ulm an der Donau. Nach einem kurzen Fotowalk bei gutem, aber bei weitem nicht „idealem“ Fotowetter, sitze ich mit Diax-Sammler und -Kenner Fabian Stöhr in einem Ulmer Café. Auch den Nebentisch haben wir notwendigerweise belegt, auf denen zwei analoge Kameras aus „gleichem Hause“ Platz genommen oder besser gesagt „belegt“ haben. Diese werden von einem älteren Herrn am Nebentisch interessiert beäugt, begutachtet und gemustert. Vom Alter her schätze ich, könnte dieser Herr eine solche Kamera einmal besessen haben, nein, wenn dann eher als verschwommene Kindheitserinnerung, denn meine Diax (I) hat doch schon mehr als 70 Jahre auf dem Buckel.

Bei Diax aus dem Hause von Herrn Walter Voss handelt es sich um eine Kameramarke aus Ulm an der Donau. Die Kameras , entstanden in der unmittelbaren Nachkriegszeit, wurden allerdings nur etwa zehn Jahre gebaut. Damit gehört das Unternehmen „Walter Voss“ zu den kleinen und verschwundenen Fotounternehmen jenseits der großen Traditionsmarken. In seinem Bestehen wuchs die Mitarbeiteranzahl nie über 70 hinaus. Eine kleine Firma, dessen nicht billiges Produkt vor allem für den Export gedacht war und entsprechend hierzulande gar nicht so geläufig ist. Walter Voss selbst, nicht wie man vermuten könnte „gebürtiger Schwabe“, stammte aus Thüringen.

In den Kriegswirren hat es Voss nach Ulm verschlagen, welcher im Alter der Stadt Ulm doch den Rücken für die Schweiz kehrte und sich der Bildenden Kunst widmete. In amerikanischer Kriegsgefangenschaft und US-Zone muss der handwerklich talentierte Mann, Bastler und Tüftler „aufgefallen“ sein und zum Entwurf einer eigenen Kamera animiert worden sein.

Ich starte meinen kleinen Ausflug in der mir unbekannten „Diax“-Welt mit Fabian Stöhr. Treffpunkt ist am Festungsgebäude Fort „Unterer Kuhberg“. Hier hat Walter Voss mit der Produktion und Montage von seinem „Photometer“, dann seiner „Diax“ angefangen. Beim Fort „Unterer Kuhberg“ handelt es sich um einen Teil der Bundesfestung Ulm. Durch dessen Bau wurde die Stadt Ulm zur großen Garnisonstadt und hätte in Kriegszeiten bis zu 100.000 Soldaten beherbergen können.

Für mich interessanter, wurden die Gebäude in der Nachkriegszeit als Notunterkünfte und Sitz für Kleinunternehmen, so auch von Walter Voss, genutzt. Eine Polizeistreife fährt vorbei, mustert uns kurz, aber behelligt wenigstens die beiden komischen Gestalten mit den Kameras „aus einer anderen Zeit“ nicht. Entweder sehen wir doch zu gefährlich aus oder der Herr und die Dame vermuten bereits, dass dies in einem sehr langen Fachgespräch enden könnte. Schade. Nicht weit vom Fort entfernt liegt die frühe Geschäftsadresse, wohl Büroadresse und vor allem ehemalige Privatadresse von Walter Voss. Ein Wohngebäude aus der Zeit. Auf den Klingelschildern des Mehrfamilienhauses finden wir natürlich nicht den Namen „Voss“ oder so etwas wie „Walter Voss Kamerawerke“, auch wenn es irgendwann mal da gewesen ist.

Mir kommt der Gedanke, dass auch noch heute die Angabe der Privatadresse als „Geschäftsadresse“ irgendwie zwischen den ambivalenten Polen von „absoluter Unseriösität“ und „genialem Start-up“ gesehen werden könnte. In der rechten Grundstücksecke befindet ein Minigebäude und wir witzeln, ob es dabei um die ehemalige Dunkelkammer oder Feinmechanikerwerkstatt von Walter Voss handelt. Vielleicht schlummern im Keller oder unter vernagelten Bodendielen noch revolutionäre Prototypen und damit ungeschützte Patente einer erdachten Diax X auf deren Wiederentdeckung.

Das Unternehmen ist in der Folge aus den Befestigungsanlagen in die Neutorstraße umgezogen. Aber dieses zuletzt von der SWU genutzte Gebäude existiert nicht mehr. Meine Diax (I) wurde in den Festungsanlagen des Unteren Kuhbergs im Block E montiert und das gar nicht so schlecht. Beim durchblättern im Ulmer Kaffee und dem Buch von Dr. Geisler fällt mir eine Portrait von Walter Voss ins Auge. Geschäftsmann und Mechaniker mit praktischen Fertigkeiten und Ideen? Gerade in der Nachkriegszeit waren Fähigkeiten der Anpassung, Flexibilität und Vertrauen auf die eigenen Fähigkeiten notwendig. Voss selbst hat seinen Lebensabend in der Schweiz und als Künstler verbracht. Bei meiner Diax handelt es sich wohl um ein Modell um 1949. Kein ganz frühes Modell, denn dafür spricht die Blitzbuchse und das eingravierte Firmenlogo.

Im Gegensatz zu dem recht seltenen Modell Diax II mit einem Heligon aus dem Hause Rodenstock von Fabian Stöhr handelt es sich um keinen Meßsucher. Dafür zücke ich das mittlerweile ebenso seltene „Erstprodukt“ von Walter Voss aus der Tasche, den „Photometer“. Der Entfernungsmesser für den Zubehörschuh wertet meine einfache „Sucher-Diax“ zur „ungekoppelten“ Meßsucherkamera auf.

Eine Kleinbildkamera mit einem Compur-Rapid Zentralverschluss und Zeiten von B, 1s bis 1/500s. Die Optik ist ein Schneider-Kreuznach XENAR mit 45mm und f2.8. Winzig der hintere Suchereinblick, dessen Abdeckung wohl häufiger fehlen soll. Die abgerundeten Ecken der Negative gefallen sehr. Ansonsten kann die kleine Kamera mit den Kameras ihrer Zeit und den großen Kameraherstellern interessanterweise sehr gut mithalten. Verchromung und Belederung sind in Zeiten des Mangels Materialschwierigkeiten und -engpässen in der jede „Schraube umgedreht wurde“ erstaunlich gut erhalten und müssen den Vergleich zu den „großen Herstellern“ nicht scheuen. Die Verschlusszeit wird direkt am Bajonett eingestellt, was mich entfernt an die Olympus OM 1 eines Maitani erinnert.

Das Zubehör ist sehr durchdacht, so können auch bei den aufgesetzten Aufsteckfiltern oder Sonnenblende mit Feststellschraube die Blende durch eine entsprechende Aussparung abgelesen werden. Kleine Details, die aber positiv auffallen und von manch großem Unternehmen wesentlich weniger elegant gelöst wurden.

Die Firma von Walter Voss ist längst verschwunden. Auch der Markenname „Diax“ ist verblasst, verschwunden und markenrechtlich vielleicht geschützt, aber mir nicht bekannt vermarktet. Nachzulesen, erforscht und damit ein Stück weit vor Vergessenheit bewahrt, wurde die Geschichte um „Walter Voss und die Diax“ umfangreich von Dr. Peter „Mr. Diax“ Geisler. Die entsprechende 190+ seitige Publikation ist leider vergriffen. Da dessen Autor sicherlich über diesen kleinen Blogartikel stolpern wird, oder von Fabian S. darauf hingewiesen wird, darf sich dieser gerne für eine Neuauflage „animiert“ fühlen. Über ein Prüfexemplar würde sich der Blogbetreiber „hier“ entsprechend erfreuen, um die Geschichte um die Diax noch etwas länger weiter zu tragen. Immerhin wurde der Ulmer Verein für Regionale Technikgeschichte um eine entsprechende Diax-Sammlung und Forschungsergebnissen bereichert. Diese wird hoffentlich bald und angemessen der Öffentlichkeit präsentiert um ein Kleinod Ulmer Industriegeschichte und Regionalkultur näher zu bringen.

Dank an Herrn B. von welchem ich die Kamera seines Vaters, Gerhard B., erhalten habe. Die Kamera wandert damit hoffentlich wie versprochen in „wertschätzende Hände“. Kameras waren keine Wegwerfprodukte, sondern eine teure Anschaffung, mit welcher wichtige Familienereignisse festgehalten wurden und im Anschluss die ganze Familie auf die Entwicklungsergebnisse des Labors fieberhaft wartete. Gruß an Diax-Sammler und -Kenner Fabian Stöhr für den Fotowalk, Infos und Einladung zum Kaffee, der das „hier“ lesen wird. Ich hoffe, ich habe nicht zu sehr für den Kauf weiterer analoger Kameras animiert… da gibt es noch sehr sehr schöne Sachen.

Früher wurde noch mehr repariert, statt gleich wegzuwerfen. Da ich nicht vermute doch einen einzigartigen Prototypen „Die verlorene Diax“ zu besitzen fällt dem Sammlerkollegen auf, dass hier eine Messingwalze eingebaut wurde. Ich vermute um die Planlage zu verbessern und damit doch ein kleiner Prototyp aus dem Hause Voss oder privat? Die Rückfrage beim Vorbesitzer hat ergeben, dass sein Vater die Kamera in den 50er Jahren der Nachkriegszeit bei Foto Brell in Düsseldorf erworben hat. Andreas Brell erkannte, dass neue Kameras kaum zu bezahlen sind und begründete damit den Verkauf von gebrauchten Kameras. Der Käufer, Herr Gerhard B., soll jedenfalls über die Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt haben, um einen solchen Umbau fachgerecht vorzunehmen.

Meine Diax kommt nach dem ersten Ausflug nach Jahrzehnten erstmal in die Vitrine. Aber nicht als Sammler, denn durch ansehen werden die mechanischen Kameras nicht besser. Meine Diax (I) darf daher hin und wieder in Ulm dabei sein… neben einer selteneren Diax II die ich in Kürze erhalten darf… zu einer Diax sage ich daher nicht „nein“.

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4 Replies to “Diax – Ulmer Startup?”

  1. Hallo Rainer.
    Es war mir ein Vergnügen mit Dir auf den Spuren von Diax in Ulm zu wandeln. Danke, dass Du dafür sorgst, dass dieser Teil der regionalen Technikgeschichte nicht verloren geht.

  2. Hallo und guten Tag!
    Nett gemacht, Herr Leyk!
    Nette Idee, Ihre Ulm-Tour mit Diax-Kameras dabei.
    Mein Diax-Buch: es wird halt nur sehr vereinzelt nachgefragt.
    Vielleicht gibt es eine BOD-Lösung.
    Derzeit kommt leider nur die Suche nach einem antiquarischen
    Exemplar in Frage. Viel Glück dabei!
    Beste Grüße, P. Geisler

  3. Moin Reiner,
    danke für diesen schönen Beitrag. Somit hat sich wieder eine Lücke des Wissens um deutsche Kamerahersteller geschlossen. Eine schöne Kamera ist es allemal. Ich bin auf deinen Bericht zur Diax 2 gespannt.
    Viele Grüße aus Hamburg
    Jens

    1. Der kleine Blogeintrag zur Diax IIb kommt hoffentlich bald „hier“ in Kürze.
      Die wesentlich seltenere Diax II steckt derzeit nach einem Hackerangriff auf die Royal Mail
      und nun Streik der Angestellten immer noch im Versand aus England fest.

      Gruß aus dem tiefsten Süden von Deutschland nach Hamburg.

      Rainer

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