Kodak Cartridge Kameras – Zu Schade für die Vitrine

Fragen wie „Was ist das für eine alte Kamera?“ oder „Kann man damit überhaupt noch fotografieren?“ dürften Robert Heidekorn mittlerweile von neugierigen Passanten bekannt sein, wenn er mit einer Kodak Cartridge Kamera unterwegs ist. Die über 110 Jahre alten Kameras erregen durchaus Aufsehen. Um die wichtigste Frage gleich zu beantworten: Ja, auch heute kann man mit diesen Kameras noch fotografieren. Robert Heidekorn teilt begeistert seine Leidenschaft für diese Kameras aus Rochester und erklärt, warum es sich auch nach über 100 Jahren lohnt, mit ihnen zu fotografieren, anstatt sie nur ungenutzt in der Vitrine stehen zu lassen.

Ein Gastbeitrag von Robert Heidekorn

Das Fotografieren mit diesen Geräten musste ich erst wieder neu erlernen. Bei meinem ersten Kauf der Cartridge Kodak No4 war mir selbst nicht ganz klar, ob diese Kameras überhaupt noch verwendet werden können, da die entsprechenden Rollfilme schon lange nicht mehr erhältlich sind.

Die Cartridge No3, No4 und No5

Die Kodak Eastman Company aus Rochester produzierte in den Jahren 1897 bis 1907 gleich drei verschiedene Modelle der Cartridge Kodak – die No3, No4 und No5. Dabei handelt es sich um „Folding Cameras“, also um Laufbodenkameras. Die weitgehend identischen Kameramodelle unterscheiden sich Hauptsächlich in Größe und im Aufnahmeformat. Die Besonderheit: Die Kameras waren nicht direkt für Glasplatten oder Planfilme, sondern für große Rollfilmformate vorgesehen.

Wer 120er Rollfilm kennt, kann über die Größe damaliger Rollfilme staunen. Diese Rollen waren teilweise 10 Zoll hoch und sogar noch größer. Bei der No3 Cartridge Kodak betrug das Aufnahmeformat 4 1/4 x 3 1/4 Zoll (Rollfilm 119), bei der No 4 Cartridge Kodak 5 x 4 Zoll (Rollfilm 104) und bei der No5 Cartridge sogar 7 x 5 Zoll (Rollfilm 115). Heutzutage sind gängige Größen von Planfilmformaten wie 4×5 oder 5×7 Zoll. Bei den Cartridge Kameras ist die Bezeichnung genau umgekehrt, also 5×4 Zoll statt 4×5 Zoll, 7×5 Zoll statt 5×7 Zoll. Das kommt daher, dass die Filmrolle des verwendeten Rollfilms 5 Zoll beziehungsweise 7 Zoll hoch war, und die Grundstellung der Kamera das Hochformat bildet. Möchte man im Querformat fotografieren, muss somit die ganze Kamera gedreht werden.

Die Cartridge Kodak wurde 1897 mit der No4 eingeführt. Im Jahr 1898 folgte die No5, und erst im Jahr 1900 kam die No3 dazu. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das etwa 90.000 Exemplare der No4, 17.500 der No5 und etwa 15.000 von der No3, von denen natürlich heutzutage bei weitem nicht mehr alle existieren oder gar funktionsfähig sind. Eine No3 habe ich selbst nicht in Verwendung. Die No4 hatte den längsten Produktionszeitraum und ist entsprechend häufiger zu finden. Wie viele Laufbodenkameras besteht auch diese aus einem kastenförmigen Grundkörper aus Holz, der mit Leder bezogen ist. An der Oberseite und der linken Kameraseite sind jeweils Brillantsucher angebracht, um den Bildausschnitt grob anzupreisen. In ihrer ersten Bauform bestanden Frontstandarte und Laufboden aus Mahagoni. Darauf befand sich eine Führung aus Messing zur Bewegung der Frontstandarte. Ein Messingrad unterhalb der Holzführung ermöglichte die Feinjustage. Die Beschläge waren ebenfalls aus Messing gefertigt. Auf dem Laufboden befand sich auch eine Entfernungskala, mit der Angabe von Feet oder auch Metern.

Die Frontstandarte erlaubte Verstellungen wie Rise, Fall und seitlichen Shift, um beispielsweise stürzende Linien auszugleichen. Beim Objektiv handelte es sich um ein Bausch und Lomb Rapid Rectilinear mit einer Brennweite von etwa 140 mm. Die Blende bot Blendenöffnungen von F8 bis F45. Beim Verschluss handelte es sich um einen Kodak Eastman Triple Action Pneumatic Zentralverschluss, der mittels Luftblasebalg oder von Hand ausgelöst wurde. Der Verschluss bot drei überschaubare Verschlusszeiten von 1/25 s, 1/50 s und 1/100 s sowie Bulb und Time.

Die Kamera erlebte über die Jahre immer wieder eine kleine Evolution. Ab dem Jahre 1899 bestanden die Beschläge nicht mehr aus Messing, sondern aus Nickel. Im Jahr 1900 gab es eine Variante mit einem Unicum Verschluss mit Protar Zeiss Optik. Zudem wechselte man auch im Jahr 1900 auf einen Kodak Eastman Triple Action Verschluss mit der Betätigung mittels Drahtauslöser oder per Hand. Ende des Jahres 1900, wurde dann die Frontstandarte aus Holz durch das Material Aluminium ersetzt. Auch der Laufboden wurde verändert, bestand nun ebenso aus Aluminium und einer Einlage aus Mahagoni. Die Kamera verfügte dann auch über einen doppelten Auszug. 1902 wurde die Kamera weiter verändert. Neben dem Brillantsucher erhielt die Kamera eine Libelle zur besseren Ausrichtung der Kamera. Von 1904 bis zum Produktionsende im Jahr 1907, wurde dann ein Kodak Automatic Verschluss mit den Verschlusszeiten von Bulb, Time, 1/100s, 1/25s, 1/5s, die 1/2s und die ganze 1 Sekunde. Über den kompletten Produktionszeitraum war zumeist das oben genannte Bausch und Lomb Rapid Rectilinear als Optik verbaut. Varianten mit Zeiss, Goerz und anderen Optiken gab es aber auch. Diese Aufzählung würde hier aber den Rahmen sprengen.

Bei der No5, welche 1898 erschien, lief diese Entwicklung vergleichbar ab. Bei dieser handelt es sich um die Kamera mit dem größten Filmformat dieser Reihe. Diese ist eher eine Seltenheit, aber auch ein solches Exemplar fand den Weg zu mir. Ein Modell aus dem Jahre 1898-99 mit Holzstandarte, Messingbeschlägen, Kodak Eastman Triple Action Pneumatic Verschluss sowie Bausch und Lomb Optik. 1899 wurden bei der No5 die Beschläge nicht mehr aus Messing, sondern aus Nickel hergestellt. Ab 1901 bis 1907 wurde die Frontstandarte, wie auch der Laufboden aus Aluminium gefertigt. 1903 bekamen die Kodaks Libellen, um neben den Brillantsuchern das Ausrichten zu erleichtern. Die Zentralverschlüsse, ebenso wie die Optik, sind bei der No5 entsprechend größer dimensioniert um das 7×5 inch Format zu belichten. Leider fehlte bei meiner No5 die Rückwand für den Plattenhalter und auch der Verschluss hatte einen Defekt. Originalteile zu finden ist eher ein Ding der Unmöglichkeit oder Bedarf einer längeren Suche. Sonderlich kompliziert sind die Verschlüsse aber nicht aufgebaut. So kann man auch mit wenig Erfahrung wieder etwas in Ordnung bringen. Glücklicherweise war hier nur eine gelockerte Schraube der Auslöser für das hängenbleiben der Verschlussmechanik. Mangels einer fehlenden Rückwand, Mattscheibenrahmen und Mattscheibe fertigte ich diese einfach selbst an.

Die Kamera kann nun wieder verwendet werden. Etwas ungewöhnlich bei allen Modellen, sind die Blendenwerte welche mit Werten von 4 bis 128 angegeben sind. Hier handelt es sich um die Blendeneinteilung in US Stops, welche entsprechend umgerechnet werden muss. Etwas komplizierter wird das ganze beim Unicum Verschluss mit der Blendeneinteilung von 2 bis 22. Hier handelt es sich wiederum um eine alte Einteilung aus dem Hause Zeiss, wobei der Wert 22 die größte Blendenöffnung, die 2 die kleinste Öffnung ist. Man muss auch hier umrechnen oder erleichtert sich die Sache mit einer kleinen Tabelle.

Fotografieren oder doch Vitrine?

Ohne ein wichtiges Zubehörteil wären diese wunderbaren Kameras heute bedauerlicherweise obsolet und tatsächlich lediglich ein Objekt für die Vitrine, denn die notwendigen Rollfilme sind bereits seit 1949 nicht mehr erhältlich. Als diese Kameras auf den Markt kamen, betrachteten viele Fotografen den Rollfilm noch skeptisch. Um 1900 wurde daher immer noch bevorzugt auf Trockenplatten fotografiert. So bot Eastman Kodak auch statt der geschlossenen Rückwand, eine Rückwand mit Plattenhalter und Mattscheibe an. Das Entscheidende dabei ist, dass 4×5 und 5×7 Planfilmkassetten nach internationalem Standard in diese Rückwand passen – genau das ermöglicht es, diese Kameras auch heute noch zu nutzen.

Ich habe es einfach mal ausprobiert, und es hat tatsächlich funktioniert – ein erhebendes Gefühl. Motiviert sowohl durch das Erlebnis als auch durch das Ergebnis folgten eine zweite und eine dritte Kamera. Alle drei Modelle der No4 stammten aus unterschiedlichen Jahren, und alle waren funktionsfähig.

Dabei variieren sie in ihren Eigenschaften – sei es ein Modell von 1900 mit Holzstandarte, Protar-Zeiss-Optik und Unicum-Verschluss, eines aus dem Jahr 1902 mit Eastman-Triple-Action-Verschluss, Aluminiumstandarte und Voigtländer-Optik oder ein spätes Modell von 1905 mit Bausch und Lomb-Optik, Kodak Automatic Verschluss, Aluminiumstandarte und Libellen.

Welches Filmmaterial belichte ich mit diesen Kameras?

Dem Alter der Kameras entsprechend fotografiere ich vorwiegend mit Schwarz-Weiß-Planfilmmaterial, das immer noch gut in den Formaten 4×5 und 5×7 inch erhältlich ist. Die Entwicklung erfolgt dann in Eigenregie von Hand. Allerdings wollte ich noch einen weiteren Schritt zurückgehen und auf Trockenplatte fotografieren. Mit einem originalen Plattenhalter für die No 4 Cartridge Kodak wollte ich dieses Projekt unbedingt umsetzen. Bei der Suche nach entsprechenden Trockenplatten stieß ich auf die Zebra Dry Plates, hergestellt von einem jungen Fotografen in Slowenien, und die Jason Lane Dry Plates aus den Vereinigten Staaten. Jason Lane lieferte mir das passende Material für einen ersten Test im Format 9×12, mit einer Empfindlichkeit von 2 ASA und nach einem klassischen Rezept von 1880. Das Ergebnis ist ein klassischer Look, der hervorragend zu diesen alten Kameras passt. Beim Arbeiten mit Trockenplatten muss man tatsächlich probieren, testen und Erfahrungen sammeln. Denn das Belichten benötigt Zeit, und der angegebene Wert von 2 ASA ist eher ein Richtwert. Die lichtempfindliche Schicht der Platten nimmt hauptsächlich UV-Licht und das blaue Lichtspektrum wahr. Daher ist die übliche Ermittlung der Belichtungszeit mittels Belichtungsmesser nicht genau und es kommt auf Erfahrung an. Faktoren wie UV-Index, Tages- und Jahreszeit sowie die gegebenen Lichtverhältnisse müssen dabei auch mit berücksichtigt werden. Das Material benötigt zudem viel Licht, und die Empfindlichkeit kann aufgrund der Umweltverhältnisse auf bis zu 0,5 ASA zurückgehen. Eine Überbelichtung der Platten ist jedoch fast nicht möglich, daher braucht man sich keine Sorgen über eine Überlichtung zu machen. Selbst im Sommer ergeben sich bei strahlendem Sonnenschein Belichtungszeiten von mehreren Minuten. Die Platten werden später in der Schale unter Rotlicht auf Sicht entwickelt. Das ist machbar, da die Platten orthochromatisch sind und gegenüber dem Rotlicht in der Dunkelkammer blind sind. Die Entwicklung erfolgt mit Rodinal 1+50 oder HC110 Verdünnung B, gefolgt von einem Stoppbad, Fixieren und abschließendem Wässern.

Wie ist der Ablauf beim Erstellen einer Aufnahme?

Möchte man mit den Kodak Cartridge Kameras fotografieren, sind neben Kamera, Planfilmkassette und Film noch einige zusätzliche Utensilien erforderlich. Ein Stativ ist, wie beim Großformat üblich, unerlässlich. Eine Lupe zur Scharfeinstellung auf der Mattscheibe erweist sich als äußerst hilfreich. Das Dunkeltuch, das übergeworfen wird, um das Mattscheibenbild besser beurteilen zu können, darf neben einem Handbelichtungsmesser ebenso wenig fehlen. Zusammengeklappt sind die Kameras nur so groß wie ein kleines Köfferchen, dadurch sehr kompakt und passen in eine etwas größere Fototasche oder einen Fotorucksack. Am Ziel angekommen, beginnt der Aufbau: Stativ aufstellen und Kamera darauf setzen, die Richtung zum Motiv anpeilen, die Blende auf maximale Öffnung einstellen und den Verschluss mit der Time-Funktion öffnen. Das Dunkeltuch wird übergeworfen, um Fremdlicht von außen auszusperren, und dann kann das Bild komponiert werden. Hierbei ist besondere Aufmerksamkeit geboten, da das Bild, wie beim Großformat üblich, auf dem Kopf steht und die Links-Rechts-Orientierung falsch ist. Mit der Lupe wird nun die Schärfe auf der Mattscheibe eingestellt und beurteilt. Der Verschluss kann nun geschlossen werden. Die Mattscheibe wird entnommen, und stattdessen wird der Planfilmhalter eingesetzt. Die Belichtung wird ermittelt, und die Werte werden an der Kamera eingestellt. Einmal zur Probe auslösen. Nun kann der Schutzschieber an der Kassette herausgezogen werden, auslösen und den Schutzschieber wieder hineinziehen.

Mein persönliches Fazit!

Mein persönliches Resümee zu diesen Kameras ist durchweg positiv. Das Fotografieren mit ihnen bereitet nicht nur Freude, sondern ermöglicht auch eine faszinierende Reise durch die lebendige Geschichte der Fotografie. Jedes Mal fühlt es sich an wie eine kleine Zeitreise, besonders wenn man das beeindruckende Alter dieser Kameras berücksichtigt. Die Vorbereitung und der Zeitaufwand für jedes Foto verleihen dem Prozess eine tiefgreifende Bedeutung. Die fotografischen Ergebnisse stehen nicht nur im Vergleich, sondern zeichnen sich aus. Zudem begibt man sich mit diesen Kameras auf eine Entdeckungsreise durch lebendige Fotografiegeschichte. Für mich haben diese Kameras eine besondere Bedeutung erlangt, und es wird beinahe philosophisch, wenn man über ihre Geschichte nachdenkt. Es ist beeindruckend zu realisieren, dass sie über 115 Jahre alt sind, zwei Weltkriege überstanden haben und vermutlich vieles gesehen haben. Ein Blick auf die heutige Zeit wirft die Frage auf, ob die aktuell produzierten fotografischen Geräte sich in über 100 Jahren genauso behaupten können.

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