Pentacon SIX – geliebte gehasste Diva

Ich habe vor diesem kleinen Review noch ein etwas verstörendes Internetvideo über die Pentacon Six TL gesehen. In diesem erklärt dessen Urheber, wie schlecht er mit dieser Kamera zurecht gekommen ist und endet damit „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen. Ich muss dem guten Mann recht geben, denn eine Kamera für jedermann ist die nicht nur technisch unhandliche Diva im Zeitalter von Digitalisierung sicherlich nicht. Also doch lieber die Finger weg von der P6? Das habe ich tatsächlich nach intensiver Beschäftigung mit der dieser Kamera lange getan. Als Kunststudent hatte ich bereits vor 20 Jahren mit der unhandlichen und damals schon zickig geltenden Diva aus Ostdeutschland geliebäugelt. Seinerzeit habe ich mich aber dann doch für die „Schwedin“ entschieden. Seitdem sind wir beide weiter in die Jahre gekommen und jetzt steht sie doch noch da. Im Gegensatz zu dem eingangs erwähnten Mann im Video bin ich mir aber sicher, dass ich und die ebenso „geliebte“ wie auch „verhasste“ P6 schon irgendwie zusammen passen werden. Die P6 ist auf jeden Fall eine Kamera, zu der viele ein ambivalentes Verhältnis haben, was sowohl sicherlich technische wie auch politische Gründe hat.

Das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland während der Zeit des geteilten Deutschlands war geprägt von politischer Spannung und Konkurrenz. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Deutschland in zwei Besatzungszonen aufgeteilt, die später zu den Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Osten und der Bundesrepublik Deutschland (BRD) im Westen wurden. In den Jahren nach dem Krieg entwickelten sich die beiden deutschen Staaten zu politisch und wirtschaftlich unterschiedlichen Systemen. Die BRD war ein kapitalistischer Staat mit einer Marktwirtschaft, während die DDR ein sozialistischer Staat mit einer Planwirtschaft war. Ein Produkt aus dem Osten „durfte“ daher nicht besser sein. Das sahen die Japaner ganz anders, welche sich Ostkameras nicht nur angeschaut, sondern auch das Innenleben ganz genau studiert, daraus gelernt und dieses perfektioniert haben. Auch noch heute wandert Wissen und Ingenieurskunst so in andere Länder ab. Was die alters- und konstruktionsbedingten Problemen der Kamera angeht bin ich mir sehr bewusst. So leidet die Pentacon Six und ihre etwas ältere Schwester Praktisix häufiger über verharzte Verschlüsse, brüchige gewordene Verschlusstücher und vor allem den sehr ärgerlichen und bekannten Bildüberlappungen. Manche Kamera hat auch Probleme mit der Planlage. Auch ist nicht klar ob an der Kamera in den Jahrzehnten davor „gebastelt“ wurde. Gerne hängt die Kamera bei der Verschlusszeit von 1/125 s. Ansonsten bildet der mechanische seitlich ablaufenden Tuchverschluss Verschlusszeiten von Bulb über 1 s bis 1/1000 s und ist damit doppelt so schnell wie meine Hasselblad mit Zentralverschluss.

Aufgrund der damals verwendeten Schmierstoffe und deren Viskosität bei niedrigen Temperaturen gilt die Kamera im Originalzustand unter 5 Grad als temperaturanfällig. Den oft berichteten „erschreckend“ lauten Spiegelschlag und Erschütterungen die durch das ganze Gehäuse gehen sollen, kann ich nicht bestätigen oder bin bereits durch die Kiev 60 und Pentax 67 abgestumpft. Aufgrund des größeren Aufnahmeformates muss man sich vergegenwärtigen, dass größere Massen im Gegensatz zum Kleinbild Äquivalent bewegt werden müssen. Der Spiegel schwingt nicht automatisch zurück und kehrt erst beim erneuten spannen in seine Position. Meist lagerten diese Kamera-Oldtimer Jahrzehnte ungenutzt in irgendwelchen Kamerataschen. Die Erwartungshaltung ist hingegen meist hoch und die Enttäuschung entsprechend groß, wenn das Schnäppchen nicht so funktioniert wie es soll. Gerade bei dieser Kamera ist es daher eher die Regel als die Ausnahme, dass diese einmal geprüft, gewartet oder nachgerüstet werden sollte. Dann macht die Kamera nicht nur gute Fotos, sondern macht Spaß statt Frustration. Die betagte Diva möchte auch sanft und richtig bedient werden, das fängt bereits beim korrekten einlegen des Films an und setzt sich beim sanften spannen und zurückführen des Schnellspannhebels fort. Es wird immer davor gewarnt, den Hebel einfach so zurückschnappen zu lassen.

Musik von Ronald Kah, Web: https://ronaldkah.de/

Die Kamera wird mit 120er Rollfilm geladen, auf welchen üblicherweise 12 Fotos im Aufnahmeformat 6×6 passen, allerdings ist auch die Verwendung 220er Filmen vorgesehen. Nach Aufnahme 12 muss die Kamera erst wieder mit dem kleinen Entsperrhebel freigegeben werden.

Wie die späteren Kameras nach dem gleichen Konstruktionsprinzip aus dem Hause Pentax und Arsenal, handelt es sich um eine überdimensionierte Spiegelreflexkamera fürs Mittelformat. Die besondere Rolle der Exakta 66, ein westliches Upcrade der P6, lasse ich an dieser Stelle aus. Die Pentacon Six TL kommt einem dabei aber tatsächlich eher als „zierlich“ vor. Die Verarbeitungsqualität ist schön und kommt mir wesentlich weniger rudimentär vor als bei der Kiev-60. Mit der Pentax 67 sind aber beide nur in den Ansätzen zu vergleichen. Diese ist wesentlich moderner und auch wenn das Aufnahmeformat „nur“ 1 Zentimeter größer ist, wirkt sich das merkbar in den dafür notwendigen größeren Abmessungen wieder.

Den Beginn macht 1957 die Praktisix der Kamerawerke aus Niedersedlitz. Deren Konstrukteur und Schöpfer ist Siegried Böhm, der auch weiterhin eine große Karriere machen sollte. Die Praktisix ist das Schwestermodell der kleinbildformatigen Praktina. Die KW wird mit anderen kleinen Werken und Zeiss Ikon zur VBE Pentacon zusammengeführt. Das KW-Logo verschwindet zugunsten des Ernemannturms und die Praktisix wird zur Pentacon Six. Nach Modellpflege II und IIa kommt diese 1966 mit Messwalze für den Filmtransport und Filmempfindlichkeitsscheibe beim Schnellspannhebel auf den Markt.

Zwei Jahre später erscheint das wuchtige TTL-Prisma und die Kamera wird nun in Pentacon Six TL umbenannt. Die P6 wird dann bis zum endgültigen Aus bis 1990 produziert. Einen Tag vor der Wiedervereinigung Deutschlands wird am 2. Oktober 1990 die Liquidation des Betriebes bekannt gegeben. Als Spitzenprodukt und Aushängeschild ostdeutscher Kamerainnovation durfte die Pentacon Six 1978 mit dem Kosmonauten Sigmund Jähn in den Erdorbit. Jähn war der erste Deutsche im Weltall, dieser erreichte mit einer Sojus-Rakete die sowjetische Raumstation Saljut-6. Die Pentacon Six TL, wie hier zu sehen, kostete mit dem Lichtschacht und dem mehrfachvergüteten Standardobjektiv Zeiss Jena Biometar 80mm f2.8 seinerzeit etwa 1000,- Ostmark, das TTL-Prisma schlug nochmals mit etwa 500,- Ostmark zu Buche.

Mit den auswechselbaren Suchern vom einfachen Lichtschacht über verschiedene Prismas und einen Lupenfinder vervollständigt die P6 zur vielseitigen Systemkamera.

Das wuchtige und schwere TTL-Prisma war ab 1968 ein teures Zubehör, welches seinerzeit allein schon 500 Ostmark kostete. Es ist nicht das hellste und bietet auch keine 100% Sucheransicht, stellt aber das Bild immerhin seitenrichtig dar. Gerne wird das TTL-Prisma der Kiev 60 mittels Adapter adaptiert, aber es ist nun mal nicht das Original. Die quecksilberhaltige Originalbatterie PX625 gibt es nicht mehr. Dank der Brückenschaltung ist aber auch die heute erhältliche 625 ebenso verwendbar.

Der sich per Schiebeschalter sich aufrichtende Lichtschacht mit Lupe und Sportsucher ist sehr zu empfehlen. Vor allem die Lupe ist zum fokussieren hilfreich.

Die Optiken aus dem Hause Zeiss Jena machten die Kamera zum Arbeitspferd von Berufsfotografen. Da das Bajonett von Arsenal für die Kiev-60 übernommen wurde, passen damit auch sowjetische Objektive an die Kamera. So gibt es tatsächlich ein paar spannende Objektive für das P6-Bajonett.

Im Gegensatz zur sowjetischen Kiev-60 hat die Kamera ein zehnsekündiges Vorlaufwerk. Die Kamera besitzt auch keine serienmäßige Spiegelvorauslösung, diese kam aber auch bei der moderneren Pentax 67 erst später hinzu. Im Gegensatz zum elektronisch gesteuerten Verschluss von dieser benötigt eine P6 keine Batterie.

Im Gegensatz zu anderen Kameras findet man für die P6 auch noch Service. Die Website oldcamerafuchs.de bietet neben einer erwerbbaren Reparaturanleitung auch die Wartung und Modifikationen an. Das geht vom nachträglichen Einbau eines Rotlichkontrollfensters bis hin zum Spulenhandrad und der Trennung von Filmtransport. Die Website baierfoto.de ist mit nützlichen Informationen zur Kamera immer noch online, bietet aber leider keinen Service und keine Wartung mehr an. Beliebte Modifikationen ist die Adaption des helleren Prismas der Kiev, dem Einbau einer helleren Mattscheibe oder der Nachrüstung einer Spiegelvorauslösung – ich selbst belasse meine Kamera im Original.

Leider umgibt die VBE Pentacon auch ein dunkles Kapitel. So wurden Gehäuse und Stanzteile teils in Zwangsarbeit von politischen Gefangenen in Gefängnissen der DDR hergestellt. Ein Bauteil der Six wurde „Gießen Sonne“ genannt und galt für die Inhaftierten als ein Symbol der Hoffnung. Was viele nicht wissen, dass einige bekannte Hersteller auf diese Weise Produkte produzieren ließen.

Erste Fotos mit dem Biometar 80mm f.28 MC und Fomapan ISO 100

One Reply to “Pentacon SIX – geliebte gehasste Diva”

  1. Das Video aus der Gartenlaube habe ich mir leider auch angesehen. Selbst wenn am Rand der (XXXX) kann man seinen Mist ungeprüft verbreiten. Kein Wunder das diese Kamera so einen schlechten Ruf hat Dabei haben alle Mittelformatkameras ihre „Besonderheiten“, sogar die aus Göteborg. Ich kann ihr nichts vorwerfen: Betägtig man den Filmaufzug der Pentacon Six vernünftig und läßt sie alle 30 Pfingsten fachgerecht warten hat man eine tolle Kamera. In dem gleichen Preissegment ist sehr schwer etwas vergleichbares zu finden. Mit ganz viel Glück kann man zu ähnlichen Preisen eine Mamiya C erwerben.

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